Archive for Dezember, 2011

Genozid und Gedankenfreiheit

Freitag, Dezember 30th, 2011

Das französische Parlament beschließt ein Gesetz, das das Leugnen des Genozids an den Armeniern im 1. Weltkrieg unter Strafe stellt und folgt damit dem Beispiel Belgiens, das zuvor schon ein ähnliches Gesetz beschlossen hat.
Die türkische Regierung ist darob erzürnt und zieht, neben anderen Maßnahmen, den Botschafter aus Paris ab. Das ist nicht verwunderlich, denn in der Türkei ist es genau umgekehrt, dort ist die Tatsache dieses Völkermords eine böswillige Verleumdung, deren öffentliche Behauptung direkt ins Gefängnis führen kann.
Mutiger wäre es allerdings gewesen, wenn die französischen Abgeordneten auch den Genozid an den nordamerikanischen Ureinwohnern durch die damalige US-Regierung oder die Ausrottung der Inka durch spanische Mörderbanden, die mit Gottes Segen und im Namen des spanischen Königs agierten, als solche klassifiziert und deren Leugnung genauso unter Strafe gestellt hätten.
Aber noch besser wäre es gewesen, solch ein Gesetz, das sich immer gegen die freie Meinung richtet, erst gar nicht zu beschließen.
Nicht ein einziger Rassist, Revisionist oder Geschichtsfälscher wird durch solch ein Gesetz bekehrt werden, wie hierzulande die Nutzlosigkeit der Wiederbetätigungsgesetze zeigt.
Und für vernunftbegabte Wesen bedarf es ebensowenig dieser Gesetze, um den Völkermord in der Liste der historischen Verbrechen ganz vorne zu platzieren.
Das Problem, das dieses Gesetz aufwirft, ist aber nicht nur die Einengung der Meinungsfreiheit, die im Namen der Sicherheit bzw. zur Abwehr von Terror im letzten Jahrzehnt ohnedies in einem Maße ausgehöhlt wurde, daß sie genaugenommen nur mehr auf dem Papier existiert, sondern der Umstand, daß es keine objektive historische Wahrheit gibt. Geschichte ist, wie der Name schon sagt, der Versuch, die Vergangenheit zu erzählen, zu deuten, zu verstehen.
Doch es gibt nicht nur eine Geschichte, sondern eine Vielzahl sich oft widersprechender Geschichten, die unsere Vergangenheit zu erklären versuchen.
So gibt es eine Geschichte der Sieger, eine der Verlierer, eine der Machthaber, eine der Massen, eine der Individuen u.v.m. Jede Änderung des Blickwinkels führt zu einer anderen Geschichte.
Gerade am Beispiel Terroristen - Freiheitskämpfer ist die Komplexizität der historischen Verhältnisse gut festzumachen. Sind doch für die Machthaber alle, die versuchen, sie von der Macht zu vertreiben, Terroristen, wohingegen sich jeder, der ein undemokratisches Regime bekämpft, als Freiheitskämpfer sieht, zu recht. Aber allein der israelisch - palästinensische Konflikt zeigt, wie schnell solche Positionen ins Wanken geraten können.
Das Recht der freien Meinung ist meines Erachtens das höchste demokratische Gut, das es zu wahren gilt. Eine offene Gesellschaft muß es nicht als Bedrohung empfinden, daß es auch Meinungen gibt, die nicht mit der allgemein verbindlichen übereinstimmen.
Damit will ich sagen, daß all die Gesetze, die im Namen der Sicherheit oder für ein “korrektes” Geschichtsbild die Meinungsfreiheit des Individuums einengen und beschränken, für die Demokratie viel gefährlicher sind, als irgendwelche Geschichtslügen und Lobpreisungen für Terroristen es je sein könnten.

Weihnacht*

Samstag, Dezember 24th, 2011

Wir folgen dem Stern, wohin er uns führt,
Quer durch die Wüste, ein Wunder zu sehn,
Daß jeder von uns im Herzen schon spürt,
Wenn sich die Räder der Stunden still drehn.

Voll Ekel denk ich an das, was wir ließen
Zurück, die Stadt mit dem riesigen Turm,
Um den die Winde so höhnisch schrill bliesen,
Bevor sie sich sammeln zum letzten Sturm.

Tage und Wochen sind wir geritten,
Unter den Sternen, jetzt fehlt noch der Rest,
Um für die Zukunft der Kinder zu bitten
Am heutigen Tag, zum heiligen Fest.

* für Gerda

Hosenbrunzer*

Dienstag, Dezember 20th, 2011

Was machst du dir denn brühwarm in die Hose,
Nur weil es nicht wie vorgesehen läuft.
Kopf hoch, du schwer geprüfter Leichtmatrose,
Bevor dein Harn das Hirn total ersäuft.

Was machst du dir denn brühwarm in die Hose,
Nur weil ein andrer besser ist als du.
Die Welt ist mehr als eine welke Rose,
Sie pflückt sich selbst und schaut daneben zu.

Sie dreht sich schon seit - ach - so vielen Jahren
Und hat nicht einmal noch an uns gedacht.
Wir aber ziehn das Dasein an den Haaren,
Indes der Spiegel sich in Scherben lacht.

*Neufassung

Haircut

Montag, Dezember 5th, 2011

Wofür brauchen wir Politiker, die, statt die Interessen der Bürger, die sie ja aus diesem Grund gewählt haben, zu vertreten, einzig sich selbst vertreten und gleichzeitig ihren Kotau vor dem Großkapital und seinem Ausbeutersystem machen?
Ganz recht. Zum Schmeißen oder zum Krenreiben, wie hierzulande gelegentlich auch gesagt wird.
Wofür brauchen wir Medien, deren Redakteure als Lohnschreiber eben jenes Großkapitals, den Auftrag haben, die Menschen zu manipulieren, sie in Dumm-und Stumpfheit zu halten, sodaß sie nicht auf die Idee kommen, sich zur Wehr zu setzen?
Ganz recht. Zum Arschwischen, wenn kein Klopapier vorhanden ist, oder bei TV und Radio zum Abdrehen.
Ein Wirtschaftsinstitut aus Boston, USA, gibt die Richtung vor. Sie heißt “haircut” und gemeint ist, die staatlichen Leistungen wie Bildung, Gesundheit, Pensionen mit einem Schlag um 30% zu reduzieren, oder waren es 50%? Die Menschen sollen kahlgeschoren werden wie die Schafe. Und in Europa hat das Wettrennen, welches Land am Schnellsten den Wohlfahrtstaat vollständig demoliert, schon begonnen.
In Portugal, Griechenland, Irland und jetzt Italien tönt die Symphonie des Grauens in Dauerschleife, die übrigen Länder Europas, nein, nicht die Länder, das politische Establishment dieser Länder plant den “haircut” für die allernächste Zeit, damit sich “die Märkte”, ein Synonym für die Börsen und ihre Spekulanten, endlich einmal so richtig wohl fühlen können. Schließlich naht das Weihnachtsfest.
Die Gier kennt keine Grenzen und der Finanzkapitalismus kein Erbarmen sondern einzig Profitmaximierung.
“Wahrlich, wir leben in finsteren Zeiten” schrieb Bert Brecht vor sechzig Jahren, und ich brauche keine prophetischen Gaben, um den Menschen Europas eine Zeit der Dürre vorherzusagen, wenn sie nicht schnellstens ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und die Politiker, die jetzt die Wähler und den Eid, den sie geleistet haben, verraten und für ein paar Peanuts verkaufen, aus ihren Ämtern jagen, ob mit Stöcken oder nassen Fetzen ist dabei zweitrangig.
Und mit diesem Politikergesindel einhergehend, das Parteiensystem, das uns genau jene Politmafia beschert hat, an der die europäischen Länder kranken, ins Museum zu verfrachten, wo es historisch längst hingehört.
Weg mit dem ganzen Dreck lautet die Parole, die es ohne Aufschub umzusetzen gilt.
Die Völker Europas sollten sich ein Beispiel an den Staaten Nordafrikas nehmen, wo es den Menschen gelang, sich aus den totalitären Fesseln zu befreien und die langjährigen Machthaber dorthin zu schicken, wo sie hingehören, nämlich ins Gefängnis.
Denn nach dem Arabischen Frühling ist eine europäische Revolution die einzige Möglichkeit, um einen völlig außer Rand und Band geratenen Finazkapitalismus erfolgreich Einhalt zu gebieten.

Die Netzhaut

Freitag, Dezember 2nd, 2011

Unter flüchtigen
Cumuli zwischen
Gebetsmühlen auf
Haarigem Asphalt
Laufen die Stunden
Hinter mir Amok
Schrill schnaubend wie Dampf
Lokomotiven
Im freien Fall und
Vor mir die Männer
Im Graben behelmt
Und maskiert sind sie
Zu allem bereit
Dazwischen ein Wort
Gehaucht auf das Glas
Des Spiegels verschmiert
Von heißen Lippen

* die Rohfassung des Gedichts erschien erstmals im April 2010 unter dem Titel Schlaglöcher in der versfabrik. Dies ist eine überarbeitete Version.