Genozid und Gedankenfreiheit

Das französische Parlament beschließt ein Gesetz, das das Leugnen des Genozids an den Armeniern im 1. Weltkrieg unter Strafe stellt und folgt damit dem Beispiel Belgiens, das zuvor schon ein ähnliches Gesetz beschlossen hat.
Die türkische Regierung ist darob erzürnt und zieht, neben anderen Maßnahmen, den Botschafter aus Paris ab. Das ist nicht verwunderlich, denn in der Türkei ist es genau umgekehrt, dort ist die Tatsache dieses Völkermords eine böswillige Verleumdung, deren öffentliche Behauptung direkt ins Gefängnis führen kann.
Mutiger wäre es allerdings gewesen, wenn die französischen Abgeordneten auch den Genozid an den nordamerikanischen Ureinwohnern durch die damalige US-Regierung oder die Ausrottung der Inka durch spanische Mörderbanden, die mit Gottes Segen und im Namen des spanischen Königs agierten, als solche klassifiziert und deren Leugnung genauso unter Strafe gestellt hätten.
Aber noch besser wäre es gewesen, solch ein Gesetz, das sich immer gegen die freie Meinung richtet, erst gar nicht zu beschließen.
Nicht ein einziger Rassist, Revisionist oder Geschichtsfälscher wird durch solch ein Gesetz bekehrt werden, wie hierzulande die Nutzlosigkeit der Wiederbetätigungsgesetze zeigt.
Und für vernunftbegabte Wesen bedarf es ebensowenig dieser Gesetze, um den Völkermord in der Liste der historischen Verbrechen ganz vorne zu platzieren.
Das Problem, das dieses Gesetz aufwirft, ist aber nicht nur die Einengung der Meinungsfreiheit, die im Namen der Sicherheit bzw. zur Abwehr von Terror im letzten Jahrzehnt ohnedies in einem Maße ausgehöhlt wurde, daß sie genaugenommen nur mehr auf dem Papier existiert, sondern der Umstand, daß es keine objektive historische Wahrheit gibt. Geschichte ist, wie der Name schon sagt, der Versuch, die Vergangenheit zu erzählen, zu deuten, zu verstehen.
Doch es gibt nicht nur eine Geschichte, sondern eine Vielzahl sich oft widersprechender Geschichten, die unsere Vergangenheit zu erklären versuchen.
So gibt es eine Geschichte der Sieger, eine der Verlierer, eine der Machthaber, eine der Massen, eine der Individuen u.v.m. Jede Änderung des Blickwinkels führt zu einer anderen Geschichte.
Gerade am Beispiel Terroristen - Freiheitskämpfer ist die Komplexizität der historischen Verhältnisse gut festzumachen. Sind doch für die Machthaber alle, die versuchen, sie von der Macht zu vertreiben, Terroristen, wohingegen sich jeder, der ein undemokratisches Regime bekämpft, als Freiheitskämpfer sieht, zu recht. Aber allein der israelisch - palästinensische Konflikt zeigt, wie schnell solche Positionen ins Wanken geraten können.
Das Recht der freien Meinung ist meines Erachtens das höchste demokratische Gut, das es zu wahren gilt. Eine offene Gesellschaft muß es nicht als Bedrohung empfinden, daß es auch Meinungen gibt, die nicht mit der allgemein verbindlichen übereinstimmen.
Damit will ich sagen, daß all die Gesetze, die im Namen der Sicherheit oder für ein “korrektes” Geschichtsbild die Meinungsfreiheit des Individuums einengen und beschränken, für die Demokratie viel gefährlicher sind, als irgendwelche Geschichtslügen und Lobpreisungen für Terroristen es je sein könnten.

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