Das Lächeln der Zeit *

Oktober 19th, 2009

Wir saßen im Gasthaus und wir tranken
Den süßen Wein der Vergänglichkeit.
So wuchsen Flügel aus den Gedanken
Und trugen sie über Raum und Zeit.

Ach, es lag uns nichts an all den Dingen,
Wonach die Menschen streben mit Kraft.
Wir ließen am Teich die Steine springen,
Und küßten hinweg die Körperhaft.

In der Jukebox rosten alte Lieder.
Während wir trinken, färbt sich die Nacht,
Bilder erblühen und schwinden wieder,
Bis auch der Morgen langsam erwacht.

Neger

Oktober 14th, 2009

Irgendwer klopft wie verrückt an meine Tür.
Ich öffne wütend. Vor mir steht ein Pfleger,
Behelmt, in Gummistiefel, deutet mir,
Mit ihm zu kommen, denn ich sei ein Neger.
Und Neger gibt es hier bei uns nicht mehr.

Dein brennendes Herz *

Oktober 9th, 2009

In der Dämmerung
Hör ich manchmal das Rufen
Der blauen Pferde,

Indes die Reiter,
Mit Träumen aufgesattelt,
In Fesseln liegen.

Haarige Hände
Haben die Kathedralen
Und Füße aus Kalk.

Ich aber werde
Wolf sein, streifend durchs Dickicht
Meiner Gedanken,

Oder Quelle vielleicht,
Stürzend aus mürrischem Fels
Über die Flammen,

Dein brennendes Herz,
Bevor nichts bleibt als Asche
Und Rauch, der verweht.

* für Gerda

Das Licht der Sonne

Oktober 8th, 2009

Die Sonne scheint heut noch in mildem Licht,
Und schenkt der Landschaft ringsum frohe Farben,
Verziert mit einem Lächeln manch Gesicht,
Und heilt auch der Gedanken frische Narben.

Die Tage gehen nun auf kurzen Beinen;
Das stört nur den, dem es zu langsam geht.
Ich aber folge jener Spur von Steinen,
An deren End´ein Wind der Hoffnung weht.

Was wir sind

Oktober 1st, 2009

Manche sind ganz stolz auf ihre Haare,
Andere sind rundum glatt rasiert.
Doch wir alle tragen die Kandare,
Die der Zeitgeist straff gehalten führt.
Manche, ohne es auch nur zu fühlen,
Andere als Sklaven in den Mühlen.

Die liebe Familie

September 30th, 2009

Meine Mutter ist ne Nutte,
Meine Schwester ebenso,
Selber trag ich eine Kutte,
Und mein Bruder treibt´s am Klo.

Einer seiner warmen Brüder
Hat auch mich schon angemacht,
Bückte nackt sich vor mir nieder,
Doch ich hab ihn ausgelacht.

Denn im Beichtstuhl brennt mein Feuer,
Wo die armen Sünder knien.
Ihrer Seelen Ungeheuer
Bringen mir das Herz zum Glühn.

Vater, ja, ist ein Ganove,
Momentan fault er im Knast.
Viele nennen ihn “der Doofe”,
Manche aber sagen “Gfrast”.

Auch ein paar so Spekulanten
Gibt es im Verwandtenkreis.
Hier ein Onkel, dort zwei Tanten,
Geld - so sagt man - macht sie heiß.

Nun, fürs erste reicht es wohl.
Was noch kommt, das bleibt hier offen.
Wie zum Beispiel Alkohol
Und das Kreuz mit andren Stoffen.

Gedichte sind…(Haiku)

September 29th, 2009

Wie späte Rosen,
Die purpurn aufblühn im Licht
Meiner Gedanken.

Ereignischarakter von Gedichten

September 28th, 2009

“Narrative Texte geben Ereignisse wieder, während Lyrik danach strebt, Ereignis zu sein.”
(J.Culler “Literaturtheorie”)

Das Zitat verweist nicht nur auf die Sonderstellung, die einige Literaturwissenschafter der Lyrik attestieren, als der literarischsten aller Gattungen, es verweist v.a. auf die unterschiedlichen Funktions-und Wirkungsweisen narrativer und lyrischer Struktur. Als ungeeignet für den Vergleich erweist sich dabei die dramatische Literatur, die primär nicht gelesen wird, wo Ereignis (=Texteigenschaft) und Erlebnis (=Subjekterfahrung) an Inszenierung und Aufführung im Theater geknüpft sind, also an interpretierende Instanzen, die sich zwischen Text (Autor) und Leser (Zuhörer) schieben.
Bei narrativen Texten bleibt das Ereignishafte auf die gemeinhin Geschichte oder Handlung genannte, außersprachliche Strukturebene beschränkt, wobei den narrativen Strukturen Erzählinstanz und Erzählform die Funktion der Vermittlung der zur Geschichte gefügten Geschehnisse zukommt. Und obwohl der Text nicht nur vermittelt, sondern die Geschichte auch konstituiert, werden im Rezeptionsakt Geschichte und Vermittlung wieder separiert, d.h. der Leser nimmt nur die Geschichte als Erlebnis wahr.
In der Lyrik hingegen entfalten sich fiktionaler und semantischer Bereich nur gemeinsam mit der sie tragenden Sprachstruktur. Alle an einem Gedicht beteiligten Elemente sind zu einer unauflöslichen Einheit verschmolzen, die in ihrer Ganzheit als Ereignis wirksam werden. Und dieses Einheit/Ganzheit=Ereignis-Prinzip funktioniert auch über den Rezeptionsakt als Ereignis/Erlebnis-Transformation, d.h. Ereignis und Erlebnis sind in der Lyrik ident. Es ist das Gedicht als Ganzes, so wie es auf dem Papier steht, das dem Leser zum poetischen Erlebnis wird.
Im Gegensatz zur Epik, wo die Literaturwerdung, also der Übergang vom mündlichen zum schriftlichen Erzählen nur geringe Auswirkungen auf die Herausbildung narrativer Strukturen zeitigte, wo erst das Aufblühen des Romans als bevorzugte Literaturform des etablierten Bürgertums zu einer Fülle an erzähltechnischen Errungenschaften und Fertigkeiten führte, entstanden die lyrischen Srukturen als unmittelbares Produkt der “Papierwerdung” des Gedichts. Als Ursache und Ausgangspunkt dieser Entwicklung fungierte ein Paradoxon - das lyrische Paradoxon. Es besagt, daß das lyrische Gebäude auf einem Fundament der Verfremdung errichtet wurde; daß ein Zustand der Verfremdung das Streben der Lyrik nach Einheit und Vollendung bedingt. Das für die Schaffung lyrischer Strukturen bis heute verbindliche Regelwerk resultiert aus der Notwendigkeit, die das ursprüngliche, das mündliche Gedicht zum Ereignis machenden Eigenschaften, nämlich die Einheit von Lyriker und Musiker, der direkte Vortrag und die Persönlichkeit des Dichters, dem Schrift gewordenen Gedicht zugänglich zu machen und so den Ereignischarakter zu wahren.
In der “Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik” nennt Nietsche die Einheit von Lyriker und Musiker, er spricht von Identität, das wichtigste Phänomen der ganzen antiken Lyrik. Doch nicht nur in der Antike, auch im frühchristlichen Europa bis über das Mittelalter hinaus (Troubadours, Minnesänger) und in alten Hochkulturen wie Persien, Indien oder China ist die Einheit Dichter - Musiker dokumentiert, was ihre herausragende Bedeutung im ursprünglichen Gedicht außer Zweifel stellt und wodurch auch das Primärziel für die Entwicklung lyrischer Strukturen vorgegeben war - die Transformation von Musik in Sprache. Als Resultat dieser Transformation entstanden die bis heute verbindlich gebliebenen Basisstrukturen, allen voran der Vers, also Versformen und der ihnen zugrunde liegende Takt, das Metrum, dann Strophe und die sie leimenden Reimarten sowie Liedform wie Oden, Lieder als erste Gedichttypen.
Durch einen zweiten Transformationsschritt kam es zum Wandel des biographischen Ichs in ein Dichter-Ich, wodurch die “papierene” Lyrik Persönlichkeit und Identität erhielt, nach Stimme, Melodie und die sie bedingende unmittelbare emotionale Wirkung durch die musikalische Transformation. Diese vom Dichter-Ich geprägte Identität der Lyrik wird in der Theorie häufig und fälschlich als subjektiver Charakter klassifiziert. Das Dichter-Ich spiegelt die Identität des Dichters in seiner lyrischen Existenz. Daneben hat jedes Gedicht noch sein eigenes Subjekt, seine spezifische Identität, das Gedicht-Ich, das sich im Entstehungsprozeß als Teil dieses Prozesses durch Synthese aus biographischem Ich und Dichter-Ich herauskristallisiert. Aufgrund fehlender Differenzierung erweist sich der häufig gebrauchte Terminus “Lyrisches Ich”, das einmal Dichter-Ich, ein anderes Mal Gedicht-Ich meint, als dringend renovierungsbedürftig.
Die personale Transformation, also die Metamorphose von der biographischen in die lyrische Existenz führte zur Erweiterung und zur Vertiefung des poetischen Raums. Das Gedicht wurde zum Ort bzw. Medium einer metaphysischen Einheit, zum dichterischen Ausdruck eines Strebens nach dem Sublimen. “Das Ich des Dichters tönt aus dem Abgrund des Seins.” (Nietsche)
In einem weiteren Transformationsschritt, dem der Malerei in Sprache, (Stefan George: “was in der malerei wirkt ist verteilung linie und farbe, in der dichtung: auswahl mass und klang.”) vollendet das Gedicht schließlich in dreidimensionaler Komplexizität - auf phonetischer, auf visueller und auf semantischer Ebene - seine Ereignishaftigkeit.
Und nicht zuletzt aus historischer Perspektive bewähren sich die unterschiedlichen, zeitspezifischen Prägungen der Einheit/Ganzheit = Ereignis-Formel als verläßliche Indikatoren für den jeweiligen Epochenstil: Während die Lyriker der Romantik versuchten, in ihren Gedichten den lyrischen Ursprung zu simulieren, wodurch das Ereignisstreben als ein “Zurück zu den Wurzeln” funktionierte, wurde für die Lyriker der Moderne die Freilegung des Verfremdungsfundaments bzw. das Miteinbeziehen dieses Fundaments in das Einheit/Ganzheit-Streben zu einer wichtigen Inspirationsquelle ihrer Dichtkunst.

Der Kuß *

September 25th, 2009

Wenn deine Lippen
Sich vor Verlangen so heiß
An meine schmiegen,

Und deine Hände
Sanft und entschieden
Meinen Nacken umschließen,

Werd ich verzaubert,
Bin ich gefangen vom Duft,
Dem traumsüßen Duft

Blühender Rosen,
Der den Atem trägt, und schwingt
Dein Fühlen zu mir,

Wie Himmelsboten,
In das laut pochende Herz,
Tief und tiefer, dann

Schließ ich die Augen.
In die Gedanken fällt Schnee
Und stillt allen Durst.

* für Gerda

Schweigend sehn wir die Blätter fallen *

September 24th, 2009

Die Tage werden
Kürzer. In der Dämmerung
Hausen Gespenster.

Aus dem Gewölk bricht
Manchmal die Sonne hervor
Und läßt Wälder glühn.

Ein kühler Wind pfeift
Seine Lieder durch Ritzen
Trüber Gedanken.

Die Sommergäste
Sind gen Süden gezogen.
Wir bleiben zurück.

Wir bleiben. Schweigend
Sehn wir die Blätter fallen,
Fallen bis zum Grund.

Nachts sind die Fenster
Wieder fest verschlossen. Angst
Maskiert das Gesicht.