Ein Feuchtgebiet ohne Grenzen

Nicht erst seit dem Roman von Charlotte Roche ist die dt. Gegenwartsliteratur ein einziges, riesiges  Feuchtgebiet. Als wären die aus allen Medien, dem Internet, der Werbung, der Filmindustrie, der Pornoszene auf einen niedergehenden Wogen verbal und visuell dargestellter Sexualität noch nicht genug, -die so aufdringlich sind, daß mensch von permanenter Belästigung sprechen kann,- gibt es in der dt. Gegenwartsliteratur keine andere Thematik, die damit nur annähernd Schritt halten kann. Was mag die Schreibenden veranlassen, vier Jahrzehnte nach der “sexuellen Revolution” in den 60er Jahren, quasi in Konkurrenz  zu den trivialen Säfte-Transporteuren  tretend, jeden zweiten Roman, der auf die Leser losgelassen wird , - und das ist eine statistische Untertreibung, -  mit 100fach,  ja 1000fach bemühten, total abgenutzten Darstellungen sexueller Abläufe, in einer Endlosschleife des immer Gleichen, anzufüllen, als sei Literatur eine Peep-Show, und die Leser Voyeure. Literatur als Ersatzbefriedigung? Sind tatsächlich alle Schreiber neurotisch und alle Leser Voyeure? Ich will es nicht glauben, und es gibt ja auch einige wenige Beispiele, also Romane, die völlig darauf verzichten, ihre Protagonisten und mit ihnen die Leser mit solch feuchtem Material zu quälen. Dies wäre eine Thema, das sich längst schon eine Diplomarbeit verdient hätte.
Haben die Schreibenden so wenig Vertrauen in ihre eigene Arbeit, so sollten sie eine andere Tätigkeit ausüben. Halten sie die Leser bzw. das Lesen für Voyeure bzw. für einen voyeuristischen Akt, dann sollten sie gleichfalls den Beruf wechseln. “Tropic of Cancer” (”Wendekreis des Krebses”) von Henry Miller, der Klassiker feuchter Literatur schlechthin, ist heuer immerhin 70 Jahre alt geworden.
Mit der raschen Ausbreitung des Internets ist die kommerzielle Ausbeutung der Sexualität, wie auch die Pornographie richtiggehend explodiert. Aber als wäre die Literatur eine Parallelwelt für verklemmte Triebtäter, wird in einem Buch nach dem anderen der Helden Sexualleben dargestellt. Wahrlich kein Gütesiegel für den gesellschaftsrelevanten Anspruch von Literatur, eher ein Zeichen, daß dieser Anspruch nicht gegeben ist, zumindest nicht für die Literatur, die heute die Szene dominiert und von den Verlagen publiziert wird. Wahrlich auch kein Gütesiegel für Literaturkritik und Leser, diesem Treiben nicht mit Abscheu und Ablehnung gegenüber zu stehen. Wie sie nicht alle über Qualität in der Literatur faseln, vom senilen Pabst bis zur TV-tauglichen Kritiker-und Rezensentenrunde, wie schön und realistisch dieser und jener Koitus in Sprache gesetzt wurde. Kein Einwurf, daß das Feuchtgebiet groß und tief genug geworden ist, um die ganze (dt.) Gegenwartsliteratur darin zu ersäufen, kein Einwand, daß dies alles schon 100 000mal in den gleichen Worten und Bildern geschildert wurde, Kein Einwand, daß die gesellschaftlichen Gegebenheiten für die Autoren Herausforderung genug sein müßten, zumindest in anderer Form in ihren Büchern mit Sexualität umzugehen, wenn sie schon glauben, daß es ohne sie gar nicht geht.

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