Anmerkungen zu “Der Widerspenstigen Zähmung”

Letztens stieß ich im Netz auf die Homepage einer “viersprachigen Dolmetscherin” und überzeugten Feministin (Eigendefinition), die, wie Millionen andere auch, ein öffentliches Tagebuch im Web führt, in dem sie der weltweiten community berichtet, “daß sie gestern in Berlin im Theater war, ein Stück von Kleist sah, welches sie dufte fand “, gemeint war die Aufführung, “obwohl eine Schar Kinder Lärm machte.” Zuvor war sie in New York, dort zwickte sie der BH, worauf sie sich einen neuen kaufte, usw., usf.. Gut, das ist nicht der Grund, warum sie in der versfabrik.at zitiert wird, vielmehr wegen ihrer Überzeugung als “Feministin”, daß Shakespeares “The Taming of the Shrew” (Der Widerspenstigen Zähmung) mit einem weltweiten Aufführungsverbot belegt werden müßte. Ja, auch viele Shakespearefreunde und v.a. solche, die sich dafür halten, haben mit diesem Stück gröbste Probleme, manche behaupten sogar, das Werk stamme nicht von Shakespeare, sondern wurde ihm böswillig untergeschoben. Warum? Weil sie, wie die meisten Menschen, Knechte ihrer Vorurteile sind, wobei das Stück auch noch in unserem Jahrhundert seine zeitlose Aktualität beweist. Denn, was wird dem Leser und Zuseher vor Augen geführt? Die “Zähmung” einer “Widerspenstigen” mit Methoden, die wir heute als Folter bezeichnen würden, wie permanenter Schlaf-und Nahrungsentzug, und zwar so praktiziert, daß das Opfer einer Gehirnwäsche unterzogen wird, bis es als Ich-lose Puppe auf Knopfdruck jedem noch so unsinnigen Befehl ihres Herrn nachkommt. Im heutigen Sinn: Ein Nicht-Angepaßter, ein “Verhaltensauffälliger”, im Stück eine Frau, die sich dem patriachalischen Diktat nicht unterordnen will, wird von ihrem Vater gegen ihren Willen mit einem rabiaten Freier zwangsverheiratet, wodurch die Frau in den Besitz ihres Gatten übergeht. Der zögert auch keinen Augenblick und beginnt mit Sadismus und Brutalität die Persönlichkeit der Frau total auszulöschen, bis sie am Schluß, wie schon gesagt, eine willenlose Puppe ist, die an den Demütigungen ihres Peinigers Gefallen findet. Selten wurde das Auslöschen einer Persönlichkeit eindringlicher auf die Bühne gebracht, als in “The Taming of the Shrew”. Also, wo liegt das Problem? Denn nur Narren oder Personen, die das Stück nicht kennen, unterstellen Shakespeare Sympathie für Petruchio, dem sadistisch-brutalen “Zähmer”, oder dessen Tun. Manche sagen, die Gestaltung des Stoffs als Komödie sei das Problem. Worauf ich antworte: Wie sonst, wenn nicht als Komödie, hätte er diese Materie transportieren können, sofern wir davon ausgehen, daß Shakespeare seine Dramen schrieb, damit sie auf der Bühne auch aufgeführt werden. Gerade die Form der Komödie macht dieses Stück zu einem Meisterwerk der Subversion, das das lachende Publikum in dem Ausmaß vorführt, wie die “Welt der männlichen Gebieter” auf der Bühne.
Beim genaueren Betrachten der meisten “Komödien” Shakespeares, ob “Maß für Maß”, “Der Kaufmann von Venedig”, “Wie es euch gefällt”, “Ende gut, alles gut” u.a.m., sind die positiven, männlichen Helden in der Regel Phrasendrescher, Maulhelden, mit einem Wort Charakterschwächlinge. Ganz anders die wichtigen Frauenrollen, die nicht nur in ihren weiblichen Attributen positiv gezeichnet werden, sondern auch an Geist, Witz, Mut und Tatkraft ihren männlichen Widerparts haushoch überlegen sind. Doch dieser Werkkontext wird bei “Der Widerspenstigen Zähmung” einfach ignoriert. Anscheinend ist die Literaturkritik bis heute nicht in der Lage, die dem Stück immanente Kritik am Patriarchat Shakespear zuzutrauen.
Genaugenommen versagen bei Shakespeares Nicht-Tragödien die herkömmlichen Gattungsmerkmale der Komödie in solchem Ausmaß, daß für die späteren Komödien des Dichters der Begriff Romanze als Krücke verwendet wird, um das Faktum zu verschleiern, daß Shakespears Dramen zwar die Gattungskonventionen befriedigen, aber nur zum Teil, zum anderen Teil werden diese Konventionen unterlaufen und überwunden. Gerade das macht, neben der unvergleichlichen poetischen Kraft seiner Sprache, ihre Einzigartigkeit, zeitlose Gültigkeit und folglich ihre Aktualität in nicht geringem Maße aus.

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